Schwetzinger Zeitung, Montag, 14.04.2014

 Lutherhaus: Der Chor „Alive Vocals“ verzaubert die Konzertbesucher mit abwechslungsreichem Programm / Gastchöre zeigen Auszüge ihres Repertoires

 So vielfältig kann der Frühling klingen

Von unserem Mitarbeiter Markus Mertens

Die Tür geht auf und wir nehmen Platz auf der Couch namens Lutherhaus. Ja, Sie lesen ganz recht - nicht mehr der dunkle Saal mit hoher Bühne ist uns vor Augen. Zum Wohnzimmer, in dem wir uns kaum wohler fühlen könnten, wenn wir die besten Freunde träfen, wird der Raum mit den "Frühlingsstimmen" von "Alive Vocals". Doch nicht einfach nur mit heiteren Tischgesprächen, sondern musikalischer Unterhaltung erster Güte.

 

Nach dem breiten, mutigen Programm gefragt, das sich die "Alive Vocals" an diesem frühen Abend zur Brust genommen hat, antwortet die Chorvorsitzende Andrea Wilhelm im Gespräch mit dieser Zeitung: "Wir singen einfach, wonach uns ist." Auch wenn der Kern dieser Aussage stimmen mag - was an ihr hängt, zeichnet ein falsches Bild. Denn nahezu jede Randerscheinung eines Chores, der eben einfach mal singt, wonach ihm ist, wirkt hier wie ein unmöglicher Fauxpas. Chaos, Überheblichkeiten, technische Patzer - das gibt es hier nicht.
 
Kaum ein Jahr ist es her, dass man sich in Schwetzingen erstmals der Öffentlichkeit präsentieren konnte, erst ein halbes Jahr, dass man im Schloss den Mozartsaal mit samtenem Gesang erfüllte. Doch all das hat Dirigentin Vera Pfannenstiel genügt, um ein gut 25-köpfiges Ensemble zu formen, das sich der Leidenschaft nicht weniger preisgibt, als dem reinen, starken Ton.
Keine Frage, dass der Gastgeber in den Abend führt. Und der Zuhörer kann unmöglich daran zweifeln: Druckvoller und dynamischer hätte diese Unterredung kaum beginnen können. Mit einer kraftstrotzenden "Barbara-Ann" geht man ins Rennen, sattelt mit dem Klassiker "Was kann der Sigismund dafür" aus dem "Weißen Röss'l" noch eine charmant-neckische Volte obendrauf und wartet auf Antwort. Die lässt in der Tat kaum auf sich warten. Denn die Freunde von "Chorios" aus Hockenheim denken gar nicht daran Sigismund das Regiment zu überlassen - da kann er so schön sein, wie er möchte!

Robert Weschel als Höhepunkt

Und mit dem "Chicago"-Hit "All that Jazz" prägen sie sich auch sogleich unauslöschlich in unsere Erinnerung. Dieser geschmeidige, erdige Klang, der selbst dann groovt, wenn er gerade nur Rhythmus ist - einfach herrlich! Dann noch ein "For the longest Time", das Robert Weschel mit seiner unverwechselbar hohen Stimme als Solist zum Höhepunkt des ganzen Konzertes werden lässt und der Brocken schlägt ein. Hier, nimm das! Doch die Damen von "PlankTon" zeigen sich unter Claudia Böhmer alles andere als entsetzt und unterlaufen die polierte Perfektion schlichtweg mit kräftiger, zügelloser Emotionalität. Immerhin weiß man hier ganz genau: "Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann". Die Chance auf den ein oder anderen neuen Bewunderer wird sich das Ensemble allenthalben gesichert haben, denn wer den mehrstimmigen Verschränkungen bei Coldplays "Viva la vida" aufmerksam lauscht, weiß, dass Freiheit in der Luft liegt.

Ein kurzer Zwischenruf. Soyun Choi liefert am Steinway ihr Feuerwerk zwischen Blues und Soul ab. Die ganze Zeit ist ihre Begleitung mehr Hintergrundrauschen, doch in diesem Augenblick, da sie ihre "jazzige Weise" darreicht, herrscht andächtige Stille. Als sei das gerade Gehörte spontane Inspiration gewesen, breiten "Women's Voice" aus Neulußheim ihre Schwingen aus. Mit Pat Benatars "We belong" taucht man bebend-intensiv in das sanfte Dunkel der beginnenden Nacht hinein, lässt den Song zum obsessiven Hörerlebnis später Samstagabendstunden werden. Was Wunder, dass der Chor da das selbst geschriebene "Träume brauchen Flügel" zum poetischen Schluss wählt.

Hier gibt es keine Verlierer

Zeit für letzte Worte - die Soli sind dran und da nehmen "Alive Vocals" noch einmal Maß. Mit Nicki Falk, die "Gabriella's Song" aus dem Kino-Drama "Wie im Himmel" zum mutigen Bekenntnis einer starken Frau macht. Mit Ute Rebennack, die ein derart krachendes "What a wonderful World" anzubieten hat, das Gänsehaut weckt. Und mit Astrid Kaberna, die gemeinsam mit Siegbert Doll ein aufrichtig berührendes "Mehr will ich nicht von dir" aus dem "Phantom der Oper" zum Besten gibt. Die Anweisung wird zur Frage: Was gibt es bei diesem Konzert eigentlich mehr zu wollen? Wenn es keine Verlierer gibt, weil jeder in seiner Sache sang, ohne den anderen dabei zu zerlegen, ist die bestmögliche Antwort: nichts.

Vielleicht wird so ein Schuh draus: Als alles vorbei ist, hält Vera Pfannenstiel ihren Blumenstrauß in Händen, steht ganz gerührt da und hat diesen einen Satz für uns: "Ich danke euch allen - ihr seid so unbeschreiblich gut!" Dem ist nichts hinzuzufügen.

 © Schwetzinger Zeitung, Montag, 14.04.2014